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Juni 30, 2023
ASSKommunikation

Autismus, Klosterleben und Mönche

Autisten, Mönche und das Klosterleben

Ich war wieder mal in Spanien und besuchte das uralte Kloster Sant Pere de Rodes. Ein sehr eindrücklicher Ort der Stille. Die Anfänge gehen bis ins 6. Jahrhundert zurück. Der Gedanke, dass hier einst Benediktiner-Mönche sehr abgeschieden lebten und arbeiteten, brachten mich zum Nachdenken. Angeblich waren es nur 12 Mönche, die hier zusammenlebten, in Anlehnung an die Apostel von Jesus. Ich überlegte mir, was das wohl für Menschen gewesen sein mussten.

Autistische Züge von Mönchen?

Was sollten Ordensbrüder und -schwester von ihrer Persönlichkeit her mitbringen? Der Gedanke, dass sie autistische Zügen haben sollten, scheint mir naheliegend zu sein. Klar, man muss sich auf eine enge Gemeinschaft mit seinen Mitbrüder und -schwestern einstellen und gegenseitiges Verständnis entwickeln. Ich glaube, dass sehr viele das können, natürlich nicht alle, denn Autisten sind ja so unterschiedlich wie die neurotypischen, also „normalen“ Menschen. Es spricht sehr viel dafür, dass es unter den Mönchen und Nonnen viele Menschen mit autistischen Zügen gab. Viele ihrer Eigenschaften sind ideal für ein Leben im Kloster.

Rituale und Tradition

Ein weiterer Aspekt, der die Klöster für Autisten attraktiv machten, ist die Bedeutung von Ritualen und Traditionen. Sie fühlen sich sicherer und wohler, wenn sie bekannte Handlungsabläufe wiederholen können, und das Tag für Tag. Und die sie umgebenden Menschen, mit denen sie Jahre verbringen, ermöglicht ihnen stetig Vertrauen aufzubauen. Ebenso sind Klöster Orte der Stille mit wenig Aussenreizen. In voller Konzentration konnten sie hier schreiben und arbeiten, und haben letztlich so beigetragen, dass unsere Kultur geschaffen wurde.

Ehrlichkeit und Gerechtigkeit

Je nach Ausprägung von Autismus, hat man entsprechend mehr oder weniger Schwierigkeiten am sozialen Leben teilzunehmen. Im Mittelalter gab es dafür noch keine offizielle Krankenbezeichnung wie wir sie heute kennen. Dass wir das heute tun, hat mit den veränderten sozialen Erfordernissen unserer Gesellschaft zu tun. Heute sind Kommunikation, soziales Verhalten und Interaktion mit anderen Menschen wichtiger als früher, ebenso Flexibilität. Das heisst, es wird vom modernen Menschen verlangt, dass er oder sie jederzeit bewährte Glaubens- und Verhaltensmustern überdenken muss, um überleben zu können. Eine Multikulti-Gesellschaft, die die unterschiedlichsten Werte in sich vereint, ist auf alle Fälle nichts für einen Autisten. Greta Thunberg, auch eine Autistin, erkennt die Widersprüchlichkeit unserer Gesellschaft, mit der sie selbst nicht zurechtkommt. Sie ist wütend auf die egozentrischen Machtmenschen und streikt den Schuldienst. In der Geschichte gab es dutzende solcher Persönlichkeiten, die im gleichen Mass von einem heiligen Zorn ergriffen waren und für Gerechtigkeit kämpften. Sie ist so für viele von uns zu einer Gallionsheiligen geworden. Waren das nicht auch die Mönche und heilige Nonnen?

Logik und Struktur

Autisten haben oft sehr besondere Fähigkeiten. Eine davon ist, sich auf Details zu konzentrieren und jeden Tag repetitive Aufgaben auszuführen. Genau solche Arbeiten waren im Kloster gefragt. In unserer säkularen Welt gibt es sie leider immer weniger. Der Glaube an eine höhere göttliche Ordnung, die ausserhalb unserer Erkenntnis liegt, ist heute in den Hintergrund getreten und machte der Naturwissenschaft Platz («I belive in science»). Das ist vielleicht auch ein Grund, dass viele Autisten hier ihr neues Arbeitsfeld finden, insbesondere in der Informatik. Die Liebe zur Struktur und zur Logik in einem abgeschlossenen System kommt ihnen entgegen. Sie müssen so nicht ständig auf wechselnde Gefühlskomponenten eines Gegenübers eingehen. Früher umfassten die Klostergemeinschaften oft nicht mehr als 12 Menschen, was die Angewöhnung aneinander erleichterte. Die Kommunikation nach aussen war nicht gefragt.

Arbeitsplätze für Autisten

Gibt es heute ähnliche Arbeitsstätten wie es damals die Klöster waren? In der freien Wirtschaft wird man kaum fündig. Erfreulicherweise gibt es jedoch Ansätze, die Autisten und Autistinnen im IT-Bereich von Unternehmen zu beschäftigen. Die Autisten werden hier vor Ort von einem Coach begleitet, der auch die Geschäftsleitung unterstützt. Es wäre spannend, Unternehmen zu gründen, die die verschiedensten Arbeiten für Autisten im gleichen Unternehmen anbieten, in Anlehnung an die kleinen klösterliche Arbeitsgesellschaften.