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Bestimmt die Wahl des Berufs unser Glück?

Nach langer Zeit habe ich wieder mal den Bestseller von Csíkszentmihályi «Flow» (1990) zur Hand genommen. Der Autor geht der Frage nach, was glücklich macht. Er fragt nicht nach der allgemeinen Zufriedenheit der Menschen, wie es die UNO jedes Jahr bei allen Nationen der Welt tut, sondern nach Momenten der Glückseligkeit, dem «flow». Wichtig für Glücksempfindungen ist – so schreibt er – die Fähigkeit zur Kontrolle über die eigenen Handlungen. Der Autor spricht von optimaler Erfahrung, wenn Flow entsteht und beschreibt das Beispiel eines Seglers, «…der sein Boot auf richtigem Kurs fühlt, wenn der Wind sein Haar peitscht und sein Boot wie ein junges Pferd durch die Wellen prescht…». Es sind diese Momente, die uns glücklich machen und sich tief in unser Gedächtnis einprägen. Wir liegen also nicht entspannt in einer Hängematte, die zwischen zwei schief stehenden Kokospalmen an der Südsee aufgespannt ist. Die besten Momente kommen dann, wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind. So könnten wir also bei fast jeder Tätigkeit und in jedem Beruf glücklich werden, wenn wir ein Minimum an Handlungskontrolle über uns haben, ja sogar im Gefängnis.

Csíkszentmihályi führt acht typische Komponenten auf, die zum flow nötig sind:

  1. sich der «Herausforderung» gewachsen fühlen
  2. zur Konzentration fähig sein
  3. ein klares Ziel erkennbar ist
  4. ein unmittelbares Feedback erfolgt
  5. die Fähigkeit zur Hingabe da ist
  6. Gefühl der Situationskontrolle
  7. Die Sorgen, um sein «Selbst» verschwinden
  8. Das Zeitgefühl völlig verschwindet

Bestimmt also nun die Wahl des Berufs unser Glück? Nein, zumindest nur zu einem kleinen Teil. Denn er verweist auch auf Menschen, die selbst in äusserster Not «flow» erleben konnten und bezieht sich im Buch auch auf KZ-Insassen, die unter grausamsten Bedingungen jeden Tag Glücksmomente erleben konnten. Allerdings brachten diese ein bereits hoch differenziertes und trainiertes Hirn mit, um das möglich zu machen. Es waren vor allem Künstler, die in ihrem Kopf weiter komponieren oder dichten konnten. Diese Fähigkeit hatten sie sich schon während ihrer Kindheit erworben, in einem förderlichen Umfeld. Das kann beim Spielen, beim Erlernen eines Musikinstruments oder auch im Sport geschehen. Csíkszentmihályi berichtet selbst von seiner Kindheit und wie er damals immer wieder von seinen Eltern gezwungen wurde, sich ans Klavier zu setzen und zu üben. Erst jahrelanges Üben führte ihn auf das nötige Niveau, um virtuos Klavier spielen und geniessen zu können. Solche positiven Erfahrungen sind die Grundlagen, um im späteren Leben «flow» erleben zu können. Die meisten Menschen sind grundsätzlich dazu in der Lage, unabhängig von guten schulischen Leistungen. Voraussetzung ist ein förderliches Umfeld, das nicht nur nachgiebig ist, sondern auch liebevoll fordert und lobt. Am besten ist ein angepasster Erziehungsstil, der das Kind in seinen Fähigkeiten und Interessen abholt. Allzu oft verlangen Eltern zu viel oder das Falsche. Sie drängen sie ins Gymnasium, obwohl sie nicht die passenden «Skills» mitbringen. Neben dem Gymnasium bietet zum Glück auch die Berufslehre ein bewährtes Gefäss, wo Jugendliche im Idealfall im passenden Beruf Zufriedenheit und Glück erfahren können. Das Modell von Csíkszentmihályi besagt, dass sich Menschen grundsätzlich gerne fordern und entwickeln möchten.

Am besten gelingt das dort, wo die Herausforderungen nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief sind. Siehe das Modell.

Die weiter oben aufgelisteten acht Komponenten zeigen, was zu «flow» führt. In einer Berufslehre kann man allen dieser Komponenten nachgehen. Sie ist deshalb eine gute Grundl

age, um später in ein zufriedenes und glückliches Leben zu finden. Die Hälfte der Lehrabgänger:innen bildet sich danach noch weiter, viele an Fachhochschulen. Insgesamt beträgt der Anteil in der Schweiz mit Tertiär-Bildung etwa 45%, was im weltweiten Vergleich hoch ist. Die duale Berufsbildung ist etwas sehr Typisches für die deutschsprachigen wie auch skandinavischen Ländern.

In der D-Schweiz machen nur etwa 20% die Matura, aber ca. 60% eine Berufslehre. In den südlichen Nachbarländern ist die Gymi-Quote dagegen deutlich höher. Spannend zu beobachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Zufriedenheit dort keinesfalls höher ist. Der Gymiabschluss ist letztlich nicht so viel Wert, weil viele dieser Absolventen keinen Studienplatz an der Uni kriegen. Ganz anders ist es in der Schweiz. Mit der hiesigen Matura kann jeder Gymi-Absolvent, sich an jede Schweizer-Universität einschreiben. Das Streben nach einer akademischen Laufbahn ist in Frankreich oder Italien gesellschaftlich viel höher bewertet als in der Schweiz. Umso grösser ist dann auch die Enttäuschung, wenn die Versprechungen nicht erfüllt werden. Eine Berufslehrabschluss wird dort leider sehr geringgeschätzt, was eine Erklärung für eine allgemein grössere Lebensunzufriedenheit sein könnte (siehe dazu die jährlichen Glücksforschungs-Erhebungen der UNO). In den Ländern, wo es ein duales Bildungssystem gibt (in deutschsprachigen und skandinavischen Ländern) ist die Zufriedenheit schon seit Jahren hoch. Im Bericht werden zwar andere Gründe aufgeführt, wie zum Beispiel geringere Einkommensunterschiede, liberale und selbstbestimmte Demokratien und stabile Regierungen. Dennoch glaube ich, dass es auch das stark ausgebaute Berufsbildungssystem ist, das uns zu zufriedeneren und glücklicheren Menschen macht. Wir benötigen deshalb neben guten Gymnasien unbedingt weiterhin gute Berufslehren.

Wie beeinflusst nun also die Berufswahl das Glück? Es ist auf alle Fälle nicht primär der Beruf, sondern der Mensch mit all seinen kognitiven und emotionalen Prozessen. Wer es versteht, sich voller Hingabe dem Moment zu verschreiben, kann immer und überall «flow» erleben und so zu einer grösseren Lebenszufriedenheit finden.